PCOS – Das Interview Teil 1

Heute freue ich mich, ein Interview zu veröffentlichen, dass ich Anfang Februar 2019 mit der Betroffenen geführt habe. Das Interview ist etwas ausführlich geworden. Deshalb gibt es Teil 1 und Teil 2. Die Betroffene ist meine Patientin aus meiner Langzeit-Fallstudie (FSP).

Das Interview

AIMED: Du bist mit PCOS diagnostiziert worden. Wann genau war das?

FSP: Das war 2011. Obwohl mein Arzt bereits bei einer früheren Untersuchung schon festgestellt hatte, dass ich polyzystische Ovarien habe und ihm meine Behaarung und mein Hautbild ebenfalls aufgefallen waren. Er hatte aber nichts erwähnt. Später hat er dann gesagt, dass ich damals noch keinen Kinderwunsch geäussert hätte und in dem Fall würde man die Pille verschreiben. Ich war 17 Jahre alt. Mein Frauenarzt hat in 2011 etwas gründlicher untersucht. Wahrscheinlich war ihm da auch aufgefallen, dass ich unheimlich an Fettmasse zugelegt hatte. Ausserdem hat meine Mutter, die dabei war, einige Fragen gestellt.

AIMED: Wie bist du darauf gekommen, dass etwas nicht stimmt?

FSP: Eigentlich gar nicht. Ich wusste ja überhaupt nicht, wie es hätte richtig sein müssen. Ich dachte lange Zeit, das sei alles normal in der Pubertät. Meiner Mutter war aufgefallen, dass ich mich anders als andere Mädchen entwickelt hatte.

AIMED: Welche Beschwerden hattest du damals?

FSP: Beschwerden, ja eigentlich nicht wirklich. Die Behaarung am Körper hat mich schon arg gestört. Die Müdigkeit und manchmal die Fressattacken, die Pickel und die fettige Haut auch. Aber wie gesagt, ich dachte das gehört zur Pubertät dazu. Meine Freundinnen hatten ähnliche Probleme und mit Gewicht hat nahezu jede gekämpft. Ich dachte nur immer, mich hat´s besonders getroffen. Ich konnte machen, was ich wollte, ich habe mich nur gequält. Ja, und ich muss sagen, die Beschwerden gingen erst mit der Pille so richtig los. Unregelmässigkeiten im Zyklus bis gar keiner mehr da war, Kopfschmerzen, Wassereinlagerungen. Ich habe auch ziemlich oft die Pille wechseln müssen.

AIMED: Wurdest du unterstützt? Konntest du mit jemandem reden?

FSP: Ja, das hat mir auch sehr geholfen. Meine Mami war immer offen und hat nach Auswegen gesucht und mich motiviert. Mein Vater auch, aber da war es schwieriger. Er hat nicht verstanden, dass ich nichts dafür konnte. Und mir oft das Herz schwer gemacht, wenn ich beim Abnehmen gescheitert bin, in der Schule nicht motiviert war und keine Lust auf meinen Sport hatte. Ein paar gute Freunde hatte ich zum Glück auch und jetzt meinen Ehemann. Auch die Ärzte nehmen mich mittlerweile ernst. Es hat sich seit ich 17 war in den vergangenen Jahren schon einiges gebessert.

AIMED: Was waren deine grössten Befürchtungen nach der Diagnose?

FSP: Na ja, so wie mir mein Arzt das nüchtern präsentierte, dass ich wohl niemals Kinder haben werde. Das hat mir, obwohl ich mit 20 Jahren und im Studium und ohne Partner noch nicht ans Kinderkriegen gedacht habe, den Boden unter den Füssen gezogen. Noch nicht wollen oder nie können macht schon einen heftigen Unterschied. Und dann die ganzen Begleiterkrankungen, die aus dem Übergewicht entstehen. Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen, Gelenksbeschwerden, Krebs. Die Büchse der Pandora. Das hat mir Angst gemacht.

AIMED: Was hat dich damals am meisten gestört?

FSP: Meinst du körperlich? Die Haare, ganz klar. Haare am Körper, wo keine wachsen sollten, das ist schon ein Wahnsinnsbelastung. Die Haare und das Entfernen. Ich habe schon alles ausprobiert und nichts davon ist wirklich angenehm. Und die Haare wachsen brutal schnell nach. Ausserdem entzünden sich die Haarbälger ständig und das macht furunkelähnliche Pickel.  Ansonsten hat mich gestört, dass mein Arzt mir die Diagnose als ich 17 war verschwiegen hat. Und mir einfach nur die Pille verordnet hat.  ich habe keinen Eisprung, kann keine Kinder bekommen und soll abnehmen. Als ob das so einfach ist. Hier eine Überweisung zur Ernährungsberatung,  ab jetzt 2x pro Jahr zur Vorsorge. Das beruhigt auch nicht gerade. Ich war auch nicht sicher, ob dieser Arzt überhaupt wusste, was er tat.

AIMED: Wie erlebst du diese Erkrankung heute?

FSP: Ich habs im Griff würde ich sagen. Ich habe meinen Lebensstil umgekrempelt und kann mich selber managen. Bewegung, Essen, Ruhepausen sind Bestandteil meines Alltags geworden. Entspannung auch, weil jeglicher Stress in den Stoffwechsel eingreift, und mich hindert, mein Gewicht zu halten. Ja, das ist schon komplex dieses PCOS. Ich weiss, dass ich mich ein Leben lang damit beschäftigen muss, aber ich habe PCOS für mich akzeptiert und lebe damit. Ausserdem hat sich etwas eingestellt, was ich nie gedacht hätte. Ich bin mit 26 Jahren spontan und natürlich schwanger geworden. Ich bin dankbar.

AIMED: Hätte es dir für deinen Lebensstil geholfen, wenn du früher Bescheid gewusst hättest?

FSP: Kann ich nicht sagen. Ich war damals in der Pubertät. Ich glaube ich hätte es nicht so verstanden, hätte mich nicht an die Vorgaben gehalten. Ernährungsberatung oder Coaching – das hätte ich nie im Leben gemacht, glaube ich. Aber ja, der Arzt hätte offen sein müssen. Ich meine, ich habe danach viel im Internet gesucht und mir Informationen besorgt. Vielleicht hätte ich das mit 17 auch gemacht, nur nix kapiert. Dann war da meine Mutter, die hätte sicher auch schneller reagiert und unterstützt. Und ja, die Auseinandersetzungen mit meinem Vater wären sicher anders verlaufen. Aber das bleibt im Reich der Spekulationen. Ich denke nur mit dem Wissen und der Erfahrung von heute, dass die Leidenszeit erheblich kürzer hätte sein können.

AIMED: Was rätst du jungen Frauen, wie sie sich verhalten sollen?

FSP: Wenn sie merken, dass was aus dem Ruder läuft, sollen sie sich an jemanden wenden, der ihnen Tipps geben kann. Und wenn es andere merken, nur nicht sie selbst, dann sollten sie das ernst nehmen. Das können Ärzte sein, aber auch Selbsthilfegruppen oder Freundinnen oder die Mama. Jedenfalls müssen sie Geduld haben, bis sie jemand ernst nimmt. Ein paar Haare werden als kosmetisches Problem abgetan, Pickel als Pubertätszeichen. Und Gewicht und Teenager ist für viele ein rotes Tuch. WIr werde gern als zickig oder übersensibel abgestempelt. Nichtessen als Macke, usw. Da braucht man schon einiges an Rückgrat, um sich Gehör zu verschaffen.

AIMED: Was ist dein Motto, damit umzugehen?

FSP: Never give up – das ist auf jeden Fall mein Appell. Und übrigens, was ich noch toll fände wäre, wenn man so Hormonstörungen bei Aufklärungsveranstaltungen in der Schule thematisieren könnte. Oder eine Fragebogenaktion macht oder so. So früh wie möglich sensibilisieren.

Ende Teil 1 des Interviews

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